spiele und spielsachen der inuit

Lange Nächte und eingeschränkte Platzverhältnisse waren für Inuit der Anlass, eine grosse Zahl von raffinierten Spielen zu erfinden. Nicht selten waren sie von hohem künstlerischem Anspruch oder sie wurden in Skulpturen oder Zeichnungen illustriert. Wie alles hat sich auch die Spielkultur der Inuit dem Zeitgeist angepasst.

Traditionellerweise erlernten Inuit handwerkliche Geschicklichkeit und Beobachtungsgabe durch schön geformte Spielsachen, die auch von Erwachsenen benutzt wurden. Ajagaq ist ein Spiel, das auf der ganzen Welt Verbreitung fand aber nirgendwo den hohen Schwierigkeitsgrad aufweist, wie bei den Inuit in der Arktis. Die westliche Variante, das Becherfangspiel, wird mit einem Ball gespielt, der an einem Becher oder Hohlkörper mit einer Schnur befestigt ist. Der Ball wird aufgeworfen und mit dem Becher eingefangen, je länger die Schnur, desto schwieriger ist es. Inuit haben die Sache umgekehrt. Sie haben ein Geschicklichkeitsspiel erfunden, das auch auf kleinstem Raum wie in einem Iglu gespielt werden kann. Das Ajagaq ist ebenfalls zweiteilig und besteht aus einem Stäblein als Fänger und einem Hohlkörper oder durchlöcherten Geweihstück, das aufgefangen oder aufgespiesst werden muss. Das Exemplar von Olive Mamak Innakatsik (1915-1994) ist ein kleines aufwendig ausgeführtes Beispiel eines solchen Spielzeugs. Es braucht viel Übung und Geduld bis man treffsicher ist, es schärft aber genauso die Geschicklichkeit und die motorische Präzision - das, was jeder Jäger für seinen Jagderfolg benötigt und was jeder Näherin hilft, wenn sie wasserdichte Kleider näht.

«Wir hatten Kleider aus Robbenfell», erzählt Uqsuraliq, «was sehr gut zum Schlitteln benutzt werden kann. Wir spielten oft «Schneefliegen», das war sehr gefährlich aber niemand wurde verletzt.» [...] «Heute sehen wir diese Spiele nicht mehr. Wir vergessen sogar einige. Damals waren unsere Eltern nicht so besorgt um uns. Manchmal wollten wir nicht einmal essen, obwohl wir hungrig waren, weil wir nicht aufhören wollten zu spielen. Wir spielten pausenlos. Auch wenn wir stundenlang nicht nach Hause kamen, waren unsere Eltern nicht sonderlich beunruhigt. Heute sind wir es

Die exakte Kenntnis über den Knochenbau von Tieren wurde Buben und Mädchen ebenfalls über Spielsachen gelehrt und blieb auch im Erwachsenenalter ein begehrtes Memoryspiel. Innuganguat (auch inugat), das Knöchelspiel, bestand aus einem Lederbeutel, in welchem ein Set von Knochen der Seehundflosse lagen. Das Spiel bestand darin, die einzelnen Knochen exakt so zu legen, dass sie der anatomischen Form der Flosse entsprechen. Noch im Jahr 2000 spielte Uqsuralik dieses Spiel und erklärte es ihren jungen Zuhörern.

Auch für das Schärfen des Erinnerungsvermögens, des Orientierungssinnes und der Intuition erfanden Inuit Spiele, die heute nur noch die alte Generation kennt. Uqsuralik erzählt: «Wir spielten indem wir versuchten, mit geschlossenen Augen exakt auf alle Gegenstände im Iglu zu zeigen. Wir mussten alle Bereiche um das Bett, den qulliq, das Fenster und den Eingang im Iglu zeigen und benennen. Nachdem wir die Namen aufgesagt hatten, versuchten wir, uns durch den Raum auf den Eingang zum Iglu hin zu bewegen. Wer es hinaus schaffte, war der Gewinner. So haben wir gespielt. Es wurde uns aber immer gesagt, dass wir nicht hinter dem Iglu spielen dürften und keine Löcher in die Wände oder die Fester des Iglu graben dürfen.»

Ataugaapii ist die Bezeichnung für ein anderes Spiel, das Uqsuraluq beschreibt: «Wir benutzten Eis um Fenster im Iglu einzubauen. Wir machten Kratzer auf das Eis und versuchten, aus den Kratzern die Silben des Liedes herauszulesen, das jemand sang. Einige von uns waren sehr genau mit ihren Kratzspuren im Fenster, andere waren es nicht.»

1971 berichtete die sehr bekannt gewordene Künstlerin Pitseolak: «Wir haben viele Spiele gespielt. Eines der Spiele hiess illupik – über den avatuk springen. [Avatuk ist die Bezeichnung für eine aufgeblasene Boje aus Robbenhaut, die an Harpunen befestigt wurde, um nach der Jagd die Beute lokalisieren zu können.] Ich habe gehört, dass junge Leute in Cape Dorset das Spiel an ihren Treffen immer noch spielen.» Aus Zeichnungen von Pitseolak geht hervor, dass der avatuk an beiden Enden an einem Seil befestigt war und von drei Personen im grossen Bogen bewegt wurde, wobei die Person in der Mitte darüber hüpfte, wie beim Seilspringen.«Ein anderes Spiel war Eskimo-Tennis», berichtet Pitseolak. «So haben wir es gespielt: wir warfen einen Ball und versuchten, ihn mit einem Fänger aus Robbenfell einzufangen. Den Fänger nannten wir autuk. Den Ball machten wir aus Karibufell und stopften es mit irgendetwas. Wir haben dieses Spiel oft gespielt, sogar im Winter. Es war ein gutes Spiel aber heute wird es nicht mehr gespielt, denn heute folgen sie der Welt

Eines allerdings ist gleich geblieben: das Puppenspielen. Inuit Elders erzählen, dass üblicherweise nur Mädchen mit Puppen spielten und sie sich amüsierten, wenn Buben mit Puppen gesehen wurden. Sie liefen damit nämlich Gefahr, schielende Augen zu bekommen. Puppen bestanden aus Steinbrocken oder Walknochen. Uqsuraliq erinnert sich:«Wir trugen Kleidchen damals, diese waren voller Löcher vom Herumtragen der Steine und Knochen. Wir spielten, dass wir Hunde besitzen und natürlich wollten wir immer den grössten. [...] Wir spielten, dass wir Sachen besitzen. Wir zerschlugen Steine und taten so, als wären die Stücke Zucker. Wir hatten schwarze und weisse Steine. Die schwarzen waren Kaffee, die weissen Zucker.» Erst später wurden Steinbrocken und Knochen zu kleinen bekleideten Puppen geformt. Üblicherweise wurden die Puppenkleider von der Mutter genäht, der Körper war meist aus Holz selten aus Elfenbein und oft der Kopf aus Stein. Dieser wurde manchmal vom Vater hergestellt. Diese Inuitpuppen sind heute begehrte Sammelobjekte geworden. «Wenn wir keine Puppen hatten», erzählt Uqsuraliq, «nahmen wir junge Hunde als Puppen. Es war wie echt, weil sie pinkelten. Es war ein grosser Spass.»

Spielsachen für Kinder waren oft auch en miniature ausgearbeitet Gegenstände des täglichen Lebens. Kleine Ulus, Gewehre oder Harpunen, nicht anders als es die Kinder im Westen kennen. Hier liegt einer der Ursprünge für die bildhauerische Begabung der Inuit, die zu ihren begehrten und bewunderten Kunstwerken führte.

 

Quellen: M. Myers, Hg., Things made by Inuit, 1980 / J. Briggs, Hg., Childrearing Practices, 2000

© J.Bromundt, Inuitgalerie 2018, Zürich

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