kunst aus salluit

Salluit (oder Sugluk) ist eine kleine Siedlung an der nördlichen Küste der Ungava Halbinsel. Das Küstengebiet ist seit 4000 Jahren besiedelt. Bereits im 16. Jahrhundert sind erste Kontakte mit weissen Entdeckern überliefert und um 1770 folgten ihnen christliche Missionare. Regelmässige Handelskontakte mit weissen Händlern sind  um 1909 im nördlichen Quebec zu verzeichnen. Es wurden  Handelsniederlassungen eingerichtet, die den Inuit  eine kurze Zeit grossen Wohlstandes bescherten. Fuchs- und Biberpelze konnten in grosser Zahl an weisse Händler verkauft werden und zwischen Inuit und Weissen festigte sich damit der Kontakt im nördlichen Quebec früh. Nachdem die Lebensumstände der ansässigen Inuit durch Überjagung mit modernen Waffen den Zusammenbruch der Pelzpreise bewirkte und eingeschleppte Krankheiten lebensbedrohlich wurden, begann die Handelsgesellschaft der Hudsons Bay Company sorgfältig gearbeitete Skulpturen der Salluit-Inuit einzukaufen. Im Süden wurden sie als exotische Besonderheiten in Kunstausstellungen und Geschäften präsentiert. In den 50er und 60er Jahren entstand schliesslich eine stete kunsthandwerkliche Produktion.

Die Werke der Künstler und Künstlerinnen aus Salluit zeichnen sich durch eine charakteristische Ästhetik aus. Den Skulpturen wurde ein «inner sense of life» zugeschrieben und man verglich sie nicht zu Unrecht mit der anmutigen Ausstrahlung romanischer Skulpturen des europäischen Mittelalters.

Die Skulpturen dieser Region zeigen Inuit bei alltäglichen Tätigkeiten: Jäger mit ihrer Beute, Frauen beim Bearbeiten von Fellen, Mütter mit Kindern. Der harte Stein aus dem Kovik-Fluss erlaubte es, Hohlräume in die Skulptur zu feilen, doch die Silhouetten der Skulpturen blieben meist blockhaft und wenig bewegt. Der poröse Stein, der in Salluit zur Verfügung stand, erlaubte keine glänzenden Oberflächen, wie es den Arbeiten aus Cape Dorset eigen war und liess keine Einlegearbeiten wie in Port Harrison zu. Als man um die 60er Jahre andere Steinsorten nach Salluit brachte, veränderte sich der einfache, kraftvolle Stil der Arbeiten. Während sich in anderen Gemeinden mythische Motive und spirituelle Wesen in der Kunst manifestierten, blieben die Künstler in Salluit dabei, Momente ihres alltäglichen Lebens in deskriptiven Szenen festzuhalten.

Skulpturen aus Salluit offenbaren einen Blick durch die Augen der Inuit: ihr Lebensraum hat ihre besonders genaue Beobachtungsgabe geschult und geformt. Inuit leben in einer Umgebung, die wie keine andere die gegenseitige Bedingtheit von Materie und Umraum offenlegt. Raum, die unsichtbare Atmosphäre, ist das machtvolle, formende Element des Landes.  Diese wahrzunehmen und zu erkennen ist lebensnotwendig in der unendlichen weissen Weite der Arktis. Feine landschaftliche Differenzierungen  sind Orientierungshilfe und Wegweiser im gefährlichen und unwirtlichen Lebensraum. Dieser Aspekt ist auch in ihrem Kunstschaffen sichtbar, wenn die Wahrnehmung ganz auf die begrenzende Silhouette der Skulpturen gelenkt wird und nur minimale Binnenmodellierung vorhanden ist.

Frühe Werke aus Salluit zeigen Szenen, die ihrer vereinfachten Form wegen als Gedankenbilder gedeutet wurden. Ein Beispiel sind die vielen Abbildungen von Jägern mit ihrer Beute. In der traditionellen Vorstellungswelt der Inuit ist die Jagd mit der Einhaltung von Geboten verbunden. In animistischen Glaubensvorstellungen lebt die inua nach dem Tod eines erbeuteten Tieres weiter und verlässt dessen Körper. Riten befrieden dieses entlassene Geistwesen. Der Jäger seinerseits tötet nur mit der Erlaubnis der inua des Tieres, das sich ihm opfert. Insofern ist die Darstellung des Jägers mit seiner Beute, die Wiedergabe des Todes also, auch immer als eine Verkörperung der freigegebenen Geistwesens und der spirituellen Verbundenheit des Jägers mit der Natur zu begreifen.

Frühe Skulpturen aus Salluit dienten dazu, in einer sich verändernden Umwelt traditionelles Verständnis zu definieren und festzuhalten. Damit ist ihre Bildhauerei ein Mittler zwischen der westlich-orientierten Welt der Weissen und jener der indigenen Urbevölkerung der Arktis. In diesem Sinne schlägt jede Skulptur eine Brücke zum Verständnis der faszinierenden Andersartigkeit der Inuit.

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