die plejaden: sakiattiak

In diesen Tagen werden am Himmel über uns die Plejaden am Osthorizont aufgehen. Bis Ende April werden sie im Sternbild des Stiers zu sehen sein. Das Siebengestirn ist eine der ältesten von Menschen beobachtete Himmelserscheinung. Noch vor der Erfindung des Teleskops konnte man sechs bis sieben Sterne von der Erde aus regelmässig beobachten. Da die einzelnen Himmelskörper der Plejadenkonstellation unterschiedlich hell leuchten, sieht man gelegentlich nur sechs mit blossem Auge. Daher wurden die Sterne auch in der Vergangenheit zur Überprüfung der Sehfähigkeit eingesetzt. In der mittelmeerischen Kultur der Antike gab man ihnen die Namen der Töchter des Atlas und der Pleione.

Möglicherweise ist das Siebengestirn sogar in den prähistorischen Felsmalereien von Lascaux wiedergegeben und vor 4000 Jahren bereits in der Himmelsscheibe von Nebra dargestellt worden, die genau vor 15 Jahren entdeckt wurde. An den sieben leuchtenden Sternen orientierten sich die Menschen der Frühzeit. Sommer und Winter wurden durch ihren Auf- und Untergang bestimmt, sie markierten bei den Griechen das Ende der Seefahrt und bei den Assyrern die Aussaat. Im 16. Jahrhundert war Galileo Galilei der erste, der mit Hilfe seines selbst gebauten Teleskops erkannte, dass die Sternenansammlung aus viel mehr Sternen besteht, als man von blossem Auge erkennen konnte. Nicht nur sieben, sondern 36 Sterne konnte er feststellen. Heute sind 1200 Sterne identifiziert. Sogar ihr Alter ist errechnet: 125 Millionen Jahre. Ihr helles Licht hat eine lange Reise bis zu uns hinter sich und so ist jeder Blick zu den Sternen ein Blick in ihre Vergangenheit.

Die Betrachtung des Himmelszeltes hat Menschen immer mit Ehrfurcht erfüllt. Auch Inuit in der Arktis sahen und beschrieben «Sakiattiak», die Plejaden. Es war eine bedeutende und in der gesamten Arktis bekannte Sternen-Konstellation. Den sieben unterschiedlich hellen Sternen gaben Inuit verschiedene Namen: Der grösste in der Mitte heisst «Kajurjuk». Er sitzt zwischen «Ullakturjuit» und «Aggiattaat». In Pelly Bay wird gesagt, im letzten würden eine Anzahl Hunde leben. Eine Inuit-Legende erzählt, wie sie dorthin kamen: ein Bär wurde in längst vergangener Zeit von einem Jäger und seinen Hunden verfolgt. Um zu entkommen, floh er in den Himmel. Die Verfolger aber folgten ihm nach bis weit hinauf ins Himmelszelt. Und so kam es, dass der Bär als Ullakturjuit bis heute im Himmel sichtbar ist und  noch immer folgt ihm sein Jäger, Kajurjuk, der ihn niemals einholen wird.

In Grönland werden die Plejaden «Qillugtussat» genannt, ein wortmalerischer Begriff, der an das Gebell von Hunden erinnern soll, die einen Bären in Schach halten.

Das Siebengestirn war für Inuit ein wichtiger Navigationspunkt und diente dem Messen der Zeit. In gewissen Inuitgruppen wurden häusliche Regeln nach der Lage der Plejaden bestimmt. In Alaska nannte man sie «Sakopsakkat»(= «jene, die ihre Augen schliessen»). Wenn sie eine bestimmte Position am Himmel einnahmen, war damit die Zeit des Zubettgehens angezeigt. In der Mehrzahl der Legenden der Inuit aber – und in den Namen für das Siebengestirn – werden die Sterne mit Erzählungen über Bären und Hunde verknüpft.

Die delikaten Miniaturen des Bildhauers Judas Ullulaq (1937-1999) aus Gjoa Haven, welche diesen Text illustrieren, verkörpern nicht nur die gefahrenvolle und prestigeträchtige Bärenjagd, sondern reflektieren auch die kosmologische Legende über die Entstehung des Siebengestirns. Die hier gezeigte Miniaturengruppe war Teil der allerersten, wegweisenden Miniaturenausstellung im Jahre 1974 in Toronto. Die damals eingeführte Tradition, Miniaturen der Inuit zu zeigen, hat sich bis heute fortgesetzt.

 

Quelle: J. McDonald, 1998

©J.Bromundt, Inuitgalerie, Zürich, 2017

 

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