die «barren grounds»

Jedes Volk, jeder Stamm hat eine Herkunft und wird in seiner Lebensform geprägt von den Gegebenheiten der Landschaft, die ihn umgibt. Die Ahiarmiut sind typische Vertreter der Karibu-Inuit, da ihr Weg sie nur sehr selten und zu bestimmten Zeiten im Jahr bis ans Meer führt. Ihr Lebensraum ist die Tundra der kanadischen Arktis. Die sogenannten «Barren Grounds» sind eine karge, homogene Landschaft, wo Geologie, Flora und Fauna dem Auge kaum Abwechslungen bieten. Die einzigen natürlichen Grenzen ihres Gebietes sind das Küstengebiet der Hudson Bay im Osten und ein Waldstreifen im Süden, den die Inuit als ‚Treeline’ bezeichnen.

Angrenzend an das Land der Karibu-Inuit ist die Hudson Bay kaum besiedelt. Die Küstenlinie wird von zahlreichen Buchten geformt. Die wenigen Inseln, in Küstennähe gelegen, werden von den Inuit im Sommer frequentiert. Weiter von der Küste entfernt hebt sich das Relief unmerklich nach Westen an, die Hügel überragen kaum eine Höhe von 300 Metern. Im Osten dieser Küstenlandschaft verwandelt sich das Land in ein welliges Plateau, und überall weist das Relief spuren der Gletscher auf, die sich vor mehr als 6000 Jahren zurückgebildet hatten. Die Steigungen sind sanft und bieten kein Hindernis in der Fortbewegung für Mensch und Tier. Esker sind eine geologische Besonderheit in der Landschaft. Diese langgestreckten, eiszeitlichen Kiesdämme sind im Winter nicht selten frei von Schnee und trocknen im Sommer als erstes aus. Sie erleichtern den Karibus den Herdenzug und bieten gute Lagerplätze in Zeiten der Schneeschmelze.

Obwohl sich die Barren Grounds grossteils am südlichen Polarkreis befinden (zwischen 60. und 65. Breitengrad), ist ihr Klima arktisch und es wachsen kaum Bäume, bis auf wenige in den windgeschützten Tälern. Der Kälteeinfluss der Hudsonküste betrifft alle angrenzenden Regionen und ist so verantwortlich für ausserordentlich kalte Temperaturen, ungewöhnlich eigentlich für eine Küstenregion in diesen Breitengraden. Bis zu 300 Tagen im Jahr ist die Erde gefroren. Im Winter erreichen die Minustemperaturen eine extreme Kälte von minus 50 Grad, in den kurzen Sommermonaten Juli und August wird es kaum wärmer als 13 Grad.

Der Schnee in der Tundra, vom stetigen Windwehen plattgedrückt, formt in der kalten Zeit einen festen Boden und ist für den Bau von Iglus unerlässlich. Der Wind, ein fester Bestandteil des Klimas der Barren Grounds, ist verantwortlich für eine konstante Abkühlung. Er bläst übers ganze Jahr hinweg mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 25 km/h und bringt regelmässige Schneestürme mit sich. Solche Blizzards können mehrere Tage andauern, und die Kraft des Windes kann Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h erreichen, zu Spitzenzeiten fegt er sogar mit 130km/ übers Land. Während eines solchen Sturms ist es praktisch unmöglich, seinen Schutzort zu verlassen, geschweige denn sich fortzubewegen. Die Gegend des Baker Lake und Chesterfield Inlet ist eine der kältesten in Kanada, und die Kombination aus Kälte und Wind sorgt für ein Klima, das als eines der härtesten der gesamten Arktis gilt.

Die beste Zeit um sich fortzubewegen und zu Reisen ist der Frühling, die Tage sind länger und die Schneedecke weniger hügelig als im Winter. Unerwartetes Sinken der Temperaturen macht die Schneedecke jedoch weich und feucht und kann der Reise ein vorzeitiges Ende setzen und den Reisenden zwingen, Wochenlang auf dem Kamm eines Eskers oder einem bereits trocken Hügel sein Lager aufzuschlagen und bis im Mai oder Juni zu warten, bis er seinen Weg fortsetzten kann.

Für die Karibu-Inuit, die nur Saisonweise bis zum Meer gehen, spielen wenige Meeressäugetiere eine wichtige Rolle: verschiedene Wal- und Robbenarten und das Walross liefern Fleisch, Knochen und Pelz zur Ernährung und Weiterverarbeitung (Kleidung, Werkzeuge, Schnitzereien). Der Eisbär lebt, wenn das Meer frei von Eis ist, hauptsächlich auf dem Packeis. An der Küste ist er nur gegen Ende des Herbstes anzutreffen. Das wichtigste Tier für diese Inuit ist, wie ihr Name schon verrät, das Karibu. Es liefert Fleisch, Pelz und Knochen, sogar was es an Vitaminhaltigem „Grünzeug“ in seinem Magen hat wird von den Inuit verwertet. Das Karibu ist auch ein beliebtes Motiv in ihrer Kunst.

Die Weideorte der Karibuherden variieren je nach Jahreszeit, und ihre Wanderrouten sind kaum vorhersehbar. Drei grosse Tiergruppen werden unterschieden, die sich immer wieder zusammenfinden und die Barren Grounds durchziehen. Ein Grossteil der Tiere verbringt den Winter zerstreut in den Wäldern, nur wenige Karibus bleiben übers ganze Jahr hinweg in der Tundra. Ihr Winteraufenthalt ist stark abhängig von den lokalen Wetterbedingungen und kann von Jahr zu Jahr wechseln. Im Frühling ziehen sie in grossen Herden gegen Norden. Dort trennen sich die Kühe mit den Jungtiere von den Bullen, um an die Wurfplätze zu wandern, wo die Jungen zu Welt kommen. Im August schliessen sich die Herden wieder zusammen, um gemeinsam zurück Richtung Süden zu wandern. Obwohl die Karibus in ihrer Anzahl das häufigste Säugetier der Barren Grounds darstellen, sind sie für die Jäger, deren Fortbewegungsmöglichkeiten beschränkt sind, keine leichte Beute. Die Routen der Herden werden zwar gut gekennzeichnet, aber diese können unerwartet und aus unerklärlichen Gründen ändern. Genau dies wurde den Ahiarmiut in den 50er Jahren zu Verhängnis.

 

©Z.Steiner Laszkiewicz, Praktikantin in der Inuitgalerie, Zürich
Quelle: Y.Csonka, Les Ahiarmiut, 1995
Karte: Chris Brackley/Canadian Geographic

 

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