arktische winde

Diese Skulptur stammt von Joy Kiluvigyuak Hallauk (1940 - 2000). Es ist eine Komposition mit vier Gesichtern, wobei zwei davon besonders stark hervortreten, die anderen beiden bleiben im Hintergrund. Bei der Betrachtung der rätselhaften Darstellung mag man an die vier vorherrschenden Winde, Uangnaq, Nigiq, Kanangnaq und Akinnaq, denken, die im Kosmos der Inuit einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Diese Winde bilden jeweils zwei Achsen: Unangnaq - Nigiq  und Kanangnaq-Akinnaq. Sie liegen sich von ihrer Strömungsrichtung her gesehen gegenüber, genau wie es in dieser Skulptur angedeutet ist. Trotzdem kann niemand mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Künstlerin mit diesem Gedanken ihr Werk erstellte.

Wenn in Europa die polaren Winde im Mai vorüber ziehen, spielen auch in der Arktis die Winde eine wichtige Rolle. Üblicherweise ist von Oktober bis Ende Mai die Schneedecke so dicht, dass man sich mit Skidoos und Hundeschlitten fortbewegen kann. Dann ist es besonders wichtig, sich auf Orientierungspunkte auf dem Land verlassen zu können. Neben Landmarken und besonderen Sternenkonstellationen nutzen Inuit auch den Wind als Orientierungshilfe. Im Zusammenspiel mit dem Schnee formen die Winde Formationen (sog. Sastrugi), welche Inuit lesen können. Formationen, die vom Nordwestwind, uangnaq, geformt werden sind hart und dauerhaft und werden uqalurait genannt. Es sind dichte, zungenförmige Spitzen. die durch Pressung und Erosion über eine längere Zeitspanne entstehen. Aus den Formen der Sastrugi lesen Inuit die Himmelsrichtung ab, je nach Dichte des Schnees und Form der Eiszunge.

Uangnaq bläst unregelmässig stark und flaut ab bevor er wieder grosse Geschwindigkeiten aufnehmen kann. Das unterscheidet ihn vom Südostwind, nigiq, der weich und stetig bläst und daher den Schnee gleichmässig verteilt und keine Formationen bildet. Er bedeckt und ebnet den Schnee. George Kappianaq von Igloolik charakterisierte 1993 diese beiden Winde wie folgt: «Wenn Nigiq vorherrscht, windet es kontinuierlich, weil dieser Wind ein Mann ist. Wenn Uangnaq bläst wird Nagiq immer mit seinem Wind kontern. Daher wird nach einem starken Uangnaq der Wind meistens zu Nigiq neigen.»  

George Kappianaq ergänzte seine Erinnerung mit einem Mythos: «Nigiq hat eine männliche Inua während Uangnaq eine weibliche Inua besitzt. Wenn sie (die Frau/der weibliche Wind) mit ihren Worten ihn (den Mann/der männliche Wind) einschüchtert, wird er niemals aufbrausend werden, wie es bei ihr der Fall wäre. Er ist in der Lage sich lange der Einschüchterung zu stellen, damit ebnet er die Dinge aus, wohingegen die Frauen alles rauher machen...Man sagt wenn das Iglu von Uangnaq (dem weiblichen Wind) Löcher bekommt (zwischen den Fugend der Blöcke), geht die Frau hinaus und wartet dort bis er (der männliche Wind) die Oberfläche wieder ausebnet.»

Auch im Fall der Winde sind es die Schamanen, die dafür Sorge tragen, dass gefährliche Winde, die zu lange anhalten abflauen. Besonders im Winter, wenn Uangnaq überhand nimmt und keine Anzeichen von Besänftigung (des Windes) besteht, nimmt sich ein Schamane der Sache an. Während seiner schamanistischen Sceance wird er die Frau (Uangnaq- Wind) draussen vor dem Iglu vorfinden, unzufrieden weil ihr Iglu voller Löcher ist. Sobald der Schamane alle diese Löcher sauber zugestopft hat, geht sie zurück in ihr Iglu und dann verebbt auch Uangnaq, der wilde, weibliche Wind.

Die Verbindung von weiblichen und männlichen Aspekten im Zusammenhang mit den Winden schilderte auch Michel Kupaaq und erklärte damit das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen bei Nacht: «Es wird gesagt, dass der Nordwestwind weiblich und der Südostwind männlich ist. In der Vergangenheit machten sich Frauen bereit zum Schlafen, indem sie ihr Schuhwerk abzogen und sich in hockender Position auf die Schlafplattform setzten. Wenn der (weibliche) Nordwestwind tagsüber gewütet hat, fällt er gegen Abend oft zusammen, was anzeigt, dass die Frauen ihr Schuhwerk ausgezogen haben und zu Bett gehen. Doch der Südostwind ist in der Mitte der Nacht aktiv, so wie die Männer nachts aktiv sind und von Haus zu Haus gehen, so wird auch der Südostwind stärker über die Nacht hinweg

Die Erzählungen der Inuit über die Winde verknüpft in charakteristischer Weise Mythos und beobachtete Gesetze der Natur. 

 

Quelle: J.McDonald, 1998

©JB, INUIT Galerie am Central, Zürich

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