amulette der inuit

Skupturen von geringer Grösse erinnern oft an Amulette. Tatsächlich können sie auch als solche verstanden und eingesetzt werden, denn es liegt im Ermessen ihres Besitzers, wie und was sie bewirken. Inuit versuchen in einzelnen Gemeinden, die Wirkungsweise von Amuletten wieder zu einem festen Bestandteil ihres Lebens zu machen.


Der Begriff «inuat», der in der Sprache der Inuit grob mit «Bewohner» übersetzt werden kann, ist die Basis einer Lebensauffassung, die weit in die Vergangenheit zurück reicht. Alle Objekte wurden und werden wahrgenommen als solche, die von einer Kraft, Inua, bewohnt werden. Diese bestimmt nicht nur den Charakter des Gegenstandes, sondern auch seine Beziehung zu anderen Dingen und zu Menschen. Die Lebenswelt der Inuit wurde so zu einer beseelten und in jeder Hinsicht lebendigen Umwelt, mit welcher verhandelt, gesprochen und interagiert werden musste. Unterschiedliche Handlungen dienten traditionellerweise dazu, mit den Kräften der natürlichen Umwelt in Kontakt zu treten. Einerseits waren Schamanen dafür zuständig, andererseits dienten Lieder, magische Worte oder das Einhalten von Taboos dazu, diese Kräfte zu bändigen. Am häufigsten aber wurden persönliche Amulette zu diesem Zwecke hergestellt. Noch heute sind solche in Gebrauch, ja sie erleben derzeit eine Wiederbelebung.


Ein Amulett wird mit sich getragen, weil es dem Träger eine besondere Kraft verleiht oder die Fähigkeit, welche eine Person bereits besitzt, verbessert. Obschon viele verschiedenen Arten von Kraftobjekten in der Arktis verwendet werden, wird die Wirkung des Amulettes in der Regel von jenen Kräften abgeleitet, die bereits mit dem Material verbunden sind, aus welchem es geschaffen wurde. Zwischen dem Besitzer des Amulettes und seiner innewohnenden geisterhaften Qualität wird eine Verbindung geschaffen. Ein Jäger, der sich bessere Jagdfähigkeiten erhofft, wird ein Amulett aus einem Bestandteil eines Tieres machen, das als hervorragender Jäger gilt, wie der Wolf oder die Eule. Wünsche werden dargestellt und ihnen eine materielle Form gegeben. Gewisse Objekte sind in diesem Zusammenhang auch zu symbolhaften Motiven geworden, wie die elegante Form des Ulu. Er steht als Inbegriff für die wichtige Bedeutung der Frauen und ihrer respektierten Rolle innerhalb der Inuit-Gesellschaft und baumelt nicht selten als Ohrhänger an den Ohrläppchen junger Frauen in der Arktis, als wollten sie sich ihrer Bedeutung in der Gesellschaft vergewissern.


Inuit besassen traditionellerweise mehr als ein Amulett, jedes stand für spezifische Eigenschaften. Diese kleinen Dinge wurden an einen Gürtel gebunden oder in Täschchen mitgetragen, um den Besitzer stets im Einflussbereich des kraftvollen Amulettes zu halten. Mit dem Auftreten des Christentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die Verwendung von Amuletten in der Arktis rapide ab, gelegentlich traten sie in Verruf. Aus diesem Grund ist detailliertes Wissen über die Verwendung und Herstellung von Amuletten heute im arktischen Gebiet nur noch in geringem Ausmass und vor allem nur noch im privaten Bereich vorhanden. Gelegentlich aber spiegelt die Kunst der Inuit ihr Wissen um die Kräfte der Natur und nicht selten machen gerade die miniaturhaften Objekte den Eindruck, als dienten sie als Vermittler bestimmter Hoffnungen und Kräfte, mit denen sich der Besitzer des Objektes verbinden sollte.
In der Zentralarktis haben engagierte Forscher, zusammen mit Inuit Ältesten ein Projekt lanciert, um das alte Wissen aus dem Dunkeln des Vergessens zu holen und die Kenntnisse über Gebrauch, Herstellung und Wirkung von Amuletten in die Zukunft zu tragen. «Wenn Amulette mit Respekt behandelt werden, können sie von Nutzen sein» war eine Bemerkung, welche ein Inuit-Ältester vor einem Jahr äusserte. Aufgrund dieser Initiative und dem Rat der Inuit Ältesten wurde zuerst die sprachlichen Grundlagen im Zusammenhang mit Amuletten zusammengetragen und mittels ethnografischer Dokumente erschlossen. Schliesslich stellten Inuit Amulette wieder selber her. Die Hoffnung der Organisatoren und Teilnehmer war, dass die Wiederbelebung dieser alten und wirksamen Tradition in der Zukunft einen Beitrag zur mentalen Gesundheit der Menschen der Arktis bilden werde.


© JB, INUIT Galerie am Central, 2016

Quelle: Griebel, KHS, Cambridge Bay

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