johnny inukpuk (1911-2007): ein werk unter der lupe

Frühe Arbeiten aus dem nördlichen Quebec schildern nicht nur Jäger, sondern oft auch Frauen bei der Handarbeit oder Kinderbetreuung.  Von der Tätigkeit der Frauen – sei es das Zubereiten der Nahrung oder das Nähen der wasserdichten Kamiks – war das Überleben der Angehörigen abhängig. Die grosse Bedeutung, welche der alltäglichen Aufgabe - ja einem einzelnen genähten Stich des wasserdichten Stiefels - zuteil wurde, war den Inuit Grund genug, sie in  aufwändigen Kunstwerken darzustellen. 

Diese stattliche Skulptur zeigt eine Mutter, die ihr Kind in der Kapuze des Amautik mit sich trägt. Wie in allen Darstellungen von Johnny Inukpuk (1911-2007) ist auch diese Skulptur ein Porträt seiner Frau Mary. Sie kam mit einer Lippen-Gaumenspalte zur Welt, ein Merkmal, das der Bildhauer allen seinen weiblichen Motiven gab.  

Die befremdende Darstellung zeigt Mary beim Vorbereiten von Leder, das nur verarbeitet werden kann, wenn es mit den Zähnen weichgekaut wurde. Bis heute kann man den Inuitfrauen dabei zusehen, wie sie die wunderschönen Kamiks herstellen, indem sie geraume Zeit damit zubringen, das Leder zu kauen. Es werden viele verschiedene Lederarten benutzt. Neben den rauchgegerbten Karibufellen sind es Belugawal-Häute, Fuchs- und Wolfsfelle, Eisbärfelle und Vogelbälge. Vor allem auf Sanikiluak waren Eiderenten wichtige Grundlage für die Herstellung von Kleidung und Werkzeugen. Heute ist das Wissen um die Verarbeitung der Bälge nur noch wenig verbreitet. Auch die stark fetthaltigen Vogelhäute müssen, wie alle Felle,  zuerst gekaut werden, damit sie weich werden. Dabei wird das Fett mit dem Mund aus den Häuten gesogen, was dazu führte, dass gewisse Näherinnen regelmässig Gewicht zunahmen, wenn sie die Tätigkeit ausübten. Silatik Mekko erzählt: «Anfänger lernen schnell, nicht zu stark zu saugen, weil man sonst die Federn durch die Haut hindurch in den Mund bekommt. Wenn man aber zuwenig saugt, wird die Haut feucht. Man braucht etwa zwei Stunden, um einen Balg so zu präparieren, dass er sich trocken anfühlt. Mein Mund wird rot und schmerzt nach dem Wegsaugendes Fettes noch mehrere Stunden, bis ich mich daran gewöhnt habe. Und oft habe ich zugenommen, weil ich beim Präparieren der Vogelbälge so viel Fett gerschluckt habe.»

Johnny Inukpuk (1911-2007), der Schöpfer dieser Skulptur, gilt als einer der ersten Bildhauer, der einen eigenwilligen und wiedererkennbaren Stil prägte. Seine massigen, runden Figuren zeigen meistens Menschen beim Verrichten alltäglicher Tätigkeiten. Das Motiv von Mutter und Kind ist ein häufiges Sujet in seinem Werk. Als Stammesältester wurde Inukpuk in Inukjuak geehrt und für seine künstlerische Arbeit sehr geachtet. Bereits 1953 bekam er öffentliches Ansehen, als sein Werk in London gezeigt wurde. Später wurde im die Ehre zuteil, als Mitglied in die Royal Canadian Academy aufgenommen zu werden.

1998 äusserte sich der Künstler über die Schwierigkeiten, Steine für seine Skulpturen zu beschaffen: «Das Schwierigste ist es, Steine aus dem Boden zu graben. Wir haben nicht immer die besten Geräte zur Verfügung. Wir benutzen Schaufeln und andere Werkzeuge und graben sie aus dem Boden. Im Steinbruch sind grosse Felsen auf jenem Stein, den wir verarbeiten können. Es wäre gut, wenn wir die grossen Felsen wegsprengen könnten, aber wir haben nicht die Mittel dazu.» Inukpuk wies grosses Talent im Auffinden von exzellentem Material auf, das er gekonnt in seinen Skulpturen einsetzte. Die runden, wenig detailreichen Körper lassen die Oberfläche, Farbe und Struktur des Materials zur Geltung kommen. Sein massiger Stil hat ihn zu einer herausragenden und eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit der kanadischen Arktis gemacht, der in Sammlerkreisen gesucht und in allen renommierten Sammlungen vertreten ist.

 

Quelle: Oakes, Riewe, 1996

© J.Bromundt, Inuitgalerie, Zürich

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